Gänge und Höfe der Lübecker Altstadt
Idyllische Oasen im Labyrinth des Mittelalters
Die verborgene Welt der historischen Gänge und Höfe gehört zu den Geheimtipps für Städtereisende, die auf der Suche nach dem Besonderen sind und in das typisch Lübsche Leben eintauchen möchten. Das verwinkelte Labyrinth der Gänge zieht sich durch die gesamte Altstadt und ist Teil des Welterbes und der Stadtkultur.
Wie in anderen Großstädten des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit gab es auch in Lübeck eine große Anzahl von Tagelöhnern und Trägern. Meist wohnten sie mit ihren Familien in kleinen, „Buden“ genannten Häusern, die dicht aneinander gedrängt auf Eckgrundstücken, an den Rückseiten der Bürgerhäuser oder im inneren Bereich der Wohnblöcke standen. Die versteckt gelegenen Wohnbereiche wurden Gänge oder Gangviertel genannt.
Mittelalterliche Buden sind kaum noch erhalten, da man erst in der Mitte des 16. Jahrhunderts begann, auch steinerne Buden zu errichten. Schnell hatten die Kaufleute, die begüterte Mittelschicht und die Kirche erkannt, welch geldspendende Quelle ein Haus mit einem ausgebauten Hof darstellte. Es blieb nicht aus, dass der Handel mit den kleinen Wohngängen und auch der Mietwucher die herrlichsten Blüten trieb. Dabei war es dem Hausbesitzer überlassen, wie viele Familien er in die winzigen Wohnungen presste und wie viele Buden er hinter seinem Hause errichten ließ. Die kleinste dieser Buden, in der Hartengrube Nr. 36, hatte eine Frontlänge von 3,45 m, eine Breite von 4,65 m und eine Höhe bis zum Dachfirst von 4,95 m.
Im Zuge des allgemeinen Bevölkerungswachstums in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nahm auch die Lübecker Stadtbevölkerung um knapp ein Viertel zu. Das führte zur Verarmung großer Teile der Bevölkerung und somit zum Neu- und Ausbau der Gangviertel. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts gab es in Lübeck mehr als 180 Gänge. Heute bestehen noch etwa 90 Gänge.
Engelsgrube – Wo man die Engländer Engel nannte
Der Ursprung dieser Straßenbezeichnung ist nicht in den pausbäckigen Himmelswesen zu suchen, sondern geht auf die hanseatischen Beziehungen zu den Engländern zurück. Damit die Englandfahrer ihre Schiffe be- und entladen konnten, wies man ihnen einen Teil des Hafens zu. In diesen Vierteln befanden sich anfangs noch Wiesen. Straßennamen wie „Engelswisch“ erinnern an diese „Wiesen der Engländer“.
Kaum eine andere Straße der Altstadt weist eine derartige Vielfalt von Wohngängen auf wie gerade die Engelsgrube. Dort siedelten Hafenarbeiter aller Berufe: Salzpacker, Kisten- und Balkenträger und andere. Wie auch die benachbarte Fischergrube, wurde die Engelsgrube vor der Jahrhundertwende begradigt und aufgeschüttet. So kam es, dass die Eingänge und Wohnzimmerfenster unterhalb der Aufschüttungen lagen und Stufen heute zu den Häusern herabführen.
Hellgrüner und dunkelgrüner Gang – Ein grünes Paradies im Hinterhof
Durch das niedrige Portal an der Seite eines barocken Kleinbürgerhauses betritt man den schönsten und saubersten Gangkomplex Lübecks: den hellgrünen und den dunkelgrünen Gang. Der Name „Dunkelgrüner Gang“ erinnert an die Gärten und ehemaligen Wiesenflächen. Die im Süden gelegenen Gangteile wurden wegen ihrer lichten Bebauung „Hellgrüner Gang“ genannt (An der Untertrave Nr. 19 und Nr. 26). Zwischen Engelswisch und Untertrave gelegen und von beiden Seiten zugänglich, eröffnet sich eine vergessene Welt, die einen Hauch des alten Lübeck vermittelt: ein Wechselspiel schmaler Gänge, kleiner Buden, hofähnlicher Großflächen, scheinbarer Sackgassen und versteckter Ausgänge.
Die Geschichte dieses Viertels geht zurück bis ins Jahr 1357, die erste Bebauung wurde um 1587 unternommen. Allmählich bildete sich eine kleine Kolonie in der Hafengegend, dicht am Wasser und nicht fern von der Hauptstraße nach Mecklenburg. Am 23. April 1596 erschütterte eine gewaltige Gasexplosion das Gangviertel, die sogar die Burgkirche ins Wanken brachte. Ein Spanier hatte heimlich ungekörntes Schießpulver gelagert, das durch Selbstentzündung den größten Teil des Gangviertels zerstörte. Die heutige Bebauung des Viertels stammt aus der Zeit der großen Explosion, also aus dem 17. Jahrhundert.
Lüngreens Gang (Fischergrube Nr. 38) – Eintauchen in ein Labyrinth von Gängen
Lüngreens Gang ist einer der wenigen Gänge, dessen restliche doppelstöckige Traufenhäuser aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts unter Denkmalschutz stehen. Außerdem ist er einer der wenigen Gänge, die zwei Gruben miteinander verbinden.
Für Städtereisende ist es ein Abenteuer, durch die winkligen Wege am Ende des Bäckerganges in den gradlinigen Lüngreens Gang zu gelangen, um schließlich in der Fischergrube wieder aus der Idylle aufzutauchen.
Text: Lübeck und Travemünde Marketing GmbH, Bilder: LTM – Olaf Malzahn